Vereinsgeschichte

Zeitzeugen der Vorkriegszeit und der frühen Kriegsjahre

Von Dorothee Folger – Am 17. August 2018 hatten Stefan Lorbeer und ich die Gelegenheit, wahre Zeitzeugen des Rudersports persönlich kennenzulernen. Der Kontakt mit den beiden Brüdern Hans (Jahrgang 1919) und Franz (Jahrgang 1922) Keller aus Frei-Weinheim kam durch lange Verknüpfungen zustande, die ihren Anfang an unserem Tag der offenen Tür nahmen und in deren Folge Franz Keller eine Ausgabe der Rudernews erhielt.

 

Bei dieser Lektüre insbesondere zum Anrudern stellten sich so viele Erinnerungen bei ihm ein, dass wir zunächst ein langes Telefongespräch und nun dieses schöne und interessante Treffen durchführen konnten. Neben den Genannten nahmen noch Franz Kellers Sohn Hennes sowie Inge Wüstenhagen (maßgeblich für die Kontaktherstellung!) an unserer Begegnung teil. Frau Wüstenhagen ist in den 80er und 90er Jahren selbst viele Jahre bei uns im Verein gerudert, so dass auch hier noch überraschende Bekanntschaften erwähnt wurden.

Franz Keller (links) und Hans Keller (rechts) mit Dorothee Folger | Aufnahmen Stefan Lorbeer

Die Anfänge
Es wurde erzählt, wie die Brüder überhaupt zum Rudern kamen, denn der Verein war damals geprägt von "Bessergestellten" und Geschäftsleuten ganz überwiegend aus Ingelheim, so dass zwei einfache Buben aus der Nachbarschaft des Bootshauses nicht wirklich willkommen waren. Die Frei-Weinheimer mieden den Verein regelrecht. Aber die Schönheit des Ruderns wurde von den Brüdern lange bewundert und beobachtet und schließlich sorgte Franz Zerban, der auch lange Vorsitzender des Vereins war und obendrein der Onkel von Franz und Hans, dafür, dass beide Zutritt zum Verein erhielten, zumal die Jungen stets hilfsbereit bei der Instandsetzung der alten Boote ausgeholfen hatten und für viele aufgebrachte Bootsflicken verantwortlich waren. Die ersten Ruderversuche fanden damals unbedingt im sogenannten Kasten statt, der sich an der Pritsche befand. Noch heute lachen beide darüber, dass heutzutage jeder Ahnungslose sofort ins Boot und sogar in den Einer gesetzt wird.

Das Anrudern
Besonders in Erinnerung ist Hans Keller das letzte Anrudern vor dem Krieg geblieben, das 1937 oder 1938 gewesen sein mag. Er selbst war Steuermann eines der beiden Boote, die hinausfuhren, es mögen die "Berthel" und die "Konstantin" gewesen sein. Das Wetter war ungewöhnlich schlecht, selbst die damalige Fähre "Arnold" hatte den Betrieb eingestellt und Rettungsdienste auf dem Wasser gab es noch nicht. Auch die feinen Ingelheimer hatten wegen des Wetters schon Reißaus genommen.
Das Ziel war wie immer die Große Gies mit dem Rückweg durch die Kleine Gies und es wurde ausgemacht, wer zuerst wieder im Hafen ist, sollte eine Flasche Branntwein der Brennerei Dengel bekommen. Hans erkannte mit seiner Mannschaft schnell, dass kein Ruderwetter war und warnte das andere Boot, in dem sein Bruder saß. Dessen jüngere und furchtlose Mannschaft ließ sich nichts ausreden. Der rabiate Südwestwind drückte das Boot aber Richtung Oestrich. Nachdem eine Welle nach der anderen ins Boot geschwappt war, kam vom Steuermann Toni Spreng doch das Kommando zum Aussteigen, Anfang März bei großer Kälte und mitten auf dem Rhein! Alle sprangen aus dem Boot, nur Franz und Toni blieben am Boot, es rettete sich, wer konnte, und irgendwie gelangten alle sicher zum Strandbad, denn die Frei-Weinheimer Jungen, die alle am Strom aufgewachsen waren, konnten zum Glück schwimmen, was damals nicht selbstverständlich war. Mannschaft und Boot überstanden das Abenteuer, allerdings war zwischenzeitlich der Branntwein von den anderen schon längst geleert worden, so dass die wagemutigen Helden des Anruderns um Franz leer ausgingen...

Erwähnt wurde hierbei auch noch, dass etwa zu dieser Zeit ein großer Umbruch in der Rudertechnik stattfand, denn vorher und nach alter Schule, vertreten von Franz Zerban,  wurde am Riemen gerissen und das Boot musste regelrecht hoch gehen, doch dann kam Toni Spreng als Sportlehrer mit neuen Methoden von der Uni und plötzlich sollte das Blatt lose rein, ziehen, lose raus und ohne ruck geführt werden!


Der Pokal
Eine weitere Begebenheit, die lebendig in Erinnerung geblieben ist, war der Gewinn eines von den Bingern gestifteten Wanderpokals aus dem Jahr 1941, der für die Vereine in Bingen, Geisenheim und Ingelheim ausgeschrieben wurde. Die junge Rennmannschaft mit Adolf Bockius, Ernst Guth und Hans Krick um den Schlagmann Franz (Hans als der Ältere war bereits im Frankreichfeldzug) war begeistert und sofort wurde in der "Konstantin" eifrig trainiert, obwohl Bingen eigentlich die ungeliebte Richtung war, wie bis heute! Eine Übungsfahrt führte trotzdem zur Erkundung nach Bingen und sogar zum ersten Mal bis in die Nahe. Das Binger Loch war ruderisch unbekannt, so dass die Gefahren fast zum Verhängnis wurden und nur im letzten Moment und nur, weil gerudert wurde "wie im Rennen", das Aufschlagen auf einem großen Felsen abgewendet werden konnte. Eine Schraube an der Befestigung des Riemens brach, nun konnten nur noch zwei Ruderer für den Vortrieb sorgen. Aber letztlich wurde der Riemen in Bingen doch mit einem Stück Draht wieder an das Boot geflickt und die Mannschaft schaffte es zurück nach Hause.

Der Pokal | Aufnahmen Stefan Lorbeer

Zum Rennen selbst wollte unbedingt der Präsident Franz Zerban persönlich steuern. Beim Start im Binger Hafen sollte das Boot mit fünf "Kurzen" schnell auf Tempo gebracht werden, leider flog der Nummer drei schon dabei der Rollsitz aus der Schiene, der präsidiale Steuermann schäumte vor Wut, während der Rollsitz im laufenden Rennen wieder eingebastelt werden musste. Der durchgehende Spurt der Mannschaft der "starken Bauern aus Ingelum", wie sie sodann genannt wurden, hat doch noch zum Sieg geführt und es wurde mit zwei oder drei Längen Vorsprung gewonnen. Onkel Franz war durch den Erfolg gerade noch zu beruhigen, nahm aber sicherheitshalber den Pokal an sich und so lag er bis jetzt im Keller des Hauses Zerban, jetzt Ilse Zerban.
Und so wurde der alte Wanderpokal, der niemals wanderte,  nach 77 Jahren von einem tatsächlichen Rennteilnehmer, Franz Keller, dem letzten Überlebenden der Mannschaft, persönlich wieder in die Hände des Vereins gegeben mit der Anregung, das wegen des Krieges nur ein einziges Mal ausgetragene Rennen vielleicht wieder aufleben zu lassen.
Zahlreiche weitere Erinnerungen auch aus dem Krieg und dem Privatleben  und schöne Anekdoten wurden mit uns geteilt und viele Namen wurden genannt.
So durften die Frauen seinerzeit nur Vergnügungsfahrten machen oder sich im gepflegten Stilrudern versuchen. Sonntags wurden schöne Ausflugsfahrten mit Fleischwurst und Getränken nach Heidenfahrt unternommen.

Die Nachkriegsjahre
Nach dem Krieg wurde der Ruderbetrieb durch die französische Besatzung zunächst komplett unterbunden und es dauerte Jahre, bis wieder Leben und  Ruderbetrieb ins Bootshaus einzogen. Manche Vereins- und Vorstandsmitglieder wurden nun als belastet eingestuft und durften keine Ämter in Vereinen mehr übernehmen. Jahre, in denen sich die Brüder Keller anderen Sportarten zuwandten, sodass der Kontakt zum Ruderverein langsam abbrach.
Beide Brüder waren bis in die letzten Jahre leidenschaftliche Sportler, Hans trainiert bis heute täglich auf dem Heimtrainer und läuft die ihm noch möglichen Runden. Davor ziehen wir den Hut!
Zu vielen Anlässen konnten wir alte Fotos aus dem Nachlass von Franz Zerban sowie aus dem privaten Album von Franz Keller anschauen, die Bilder von Franz Zerban wurden dem Verein freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

 

Wir bedanken uns sehr herzlich für den hochinteressanten Nachmittag und für die Gastfreundschaft von Hans Keller und freuen uns, dass die alten Geschichten und besonders der Pokal wieder den Weg in den Verein finden konnten.