Tagesfahrt von Speyer nach Worms

Orpheus und die Unterwelt

Von Katharina Lankers  - Kein Mensch ahnt an diesem sonnigen Morgen in Ingelheim, welche Abenteuer uns heute noch bevorstehen: Andreas, Andreas, Antje, Astrid, Eckhard, Maria, Marta, Philipp, Thomas, Uta (in alphabetischer Reihenfolge ) und meine Wenigkeit haben sich in aller Herrgottsfrühe um 8:00 Uhr zusammengefunden, um die harmlos wirkende Strecke von 43 Kilometern zwischen Speyer und Worms zu bewältigen.

 

Nachdem beschlossen ist, welche Boote wir uns unter den Nagel reißen und welche Mannschaften wir bilden, geht die Suche nach Zehnerschlüsseln los. Die Rhein, die Main und die Barbarossa (einen Dank an den Vorstand dafür soll ich ausrichten!) werden von Auslegern und Rollsitzen befreit und samt Zubehör auf den Hänger verladen. Verteilt auf den Bus (danke an Frank fürs Kutschieren!) und Antjes Auto tritt die ganze Bande die Fahrt gen Süden an. Sobald wir Ingelheim verlassen haben, verzieht sich die bisher freundlich lächelnde Sonne hinter einen dichten Wolkenteppich. Die dunkel getönten Scheiben des Busses verstärken die Weltuntergangs-Stimmung am Himmel: eine düstere Vorahnung? Und dass das Gespräch zweier Kollegen ausgerechnet auf das Kinderspiel „Schiffe versenken“ kommt – kann das wirklich Zufall sein? Wer weiß…

Fotos: Andreas Bachmann, Frank Hildebrandt, Philipp Laur, Katharina Lankers

In Speyer sind gleich mehrfach intellektuelle Höchstleistungen gefordert: Nach dem Navigieren zur richtigen Hafeneinfahrt (erfolgreich in nur zwei Anläufen) geht das muntere Boot-Puzzeln los: welche Ausleger gehören nochmal zu welchem Kahn? Wo ist Steuerbord, wenn ein Boot kieloben auf den Böcken liegt, wo ist die Eins und in welche Richtung schraubt man diese Dinger fest? Und wer hat eigentlich die ganzen Zehnerschlüssel gehortet? Nach einigen Fehlversuchen, heftigem Rätseln, virtuellen 3D-Koordinatentransformationen und der kompetenten Unterstützung unserer Fahrtenleitung sind tatsächlich alle Boote wieder richtig zusammengesetzt. Und erst beim Runtertragen zum Wasser fällt auf, was wir vergessen haben: die Abdeckung für die Rhein! Dumm gelaufen – jetzt muss es leider ohne gehen. Wir hoffen für die Rhein-Besatzung, dass der Wellengang heute gnädig ist und deponieren sicherheitshalber ein paar Schwämme in den Booten.

Ein letztes Mal werden noch die Sanitäranlagen des örtlichen Rudervereins aufgesucht (bei dieser Gelegenheit ein Lob an unseren Bootswart: unsere Bootshalle ist viiiiel schöner!), dann geht es los. Die Sonne hat sich definitiv in ihre Schmollecke verzogen und macht keinerlei Anstalten, uns noch einen Hauch von Sommerfeeling zu gönnen. Der Wind hingegen, der laut Wetter-App aus Osten, also seitlich kommen sollte, beschließt, nach Norden zu drehen und noch einen Zahn zuzulegen, um uns so richtig garstig entgegen zu pusten. Wir lassen uns nicht einschüchtern und rudern munter drauf los: Mit Blick auf den kleiner werdenden Speyerer Dom tauchen wir unter der Autobahnbrücke mit den roten Tragseilen durch, die man sonst nur von oben kennt, und genießen es, mal eine andere Landschaft als die rund um Ingelheim betrachten zu können. Sofern man überhaupt Zeit zum Betrachten hat, denn in der schmalen Fahrrinne (wegen des anhaltenden Niedrigwassers) tummelt sich einiges an Schiffen auf dem Wasser, und wir müssen immer wieder nach rechts und links ausweichen, anhalten, Wellen aussitzen. Eine Abdeckung wäre jetzt schön gewesen, verlautet es aus der Rhein, und von Zeit zu Zeit wird uns der Pegelstand im Boot mitgeteilt: Aktuell 5 Zentimeter, Tendenz steigend. Kein Problem, bald nach dem Kraftwerk Mannheim, das sich nun nähert, werden wir anlegen und Pause machen.


In der Barbarossa sitzen wir dank fester Abdeckung im Trockenen, bugsieren euphorisch am Schubverband der „Euforia“ vorbei, der mir persönlich nur wegen der respektlosen Rechtschreibung Bauchschmerzen bereitet. Als ob es damit nicht genug wäre, folgt ihm auf dem Fuße „Orfeo“ (wie übersetzen diese Holländer bloß die griechischen Sagen?), und zwar so weit unter Land, dass wir ziemlich nah ans Ufer steuern müssen, wenn wir nicht vor Orpheus‘ Nase landen wollen. Die beiden Boote der Kollegen hinter uns sehen wir noch eilig Fahrt aufnehmen und auf die andere Rheinseite ausweichen, doch da nimmt das Schicksal schon seinen Lauf: Orfeo, der im Übrigen auch noch als Falschfahrer unterwegs ist, scheint sich einen Teufel darum zu scheren, dass da ein Ruderboot auf dem Wasser ist, und drängt uns so weit unter Land, dass wir immer näher auf ein am Kraftwerk ankerndes Schiff zusteuern und schließlich nur noch mit „Ruder lang“, angehaltenem Atem und Stoßgebeten gen Himmel der feuchten Unterwelt entkommen, mit der der gute Orpheus uns anscheinend bekannt machen wollte.
Kaum dem Engpass entronnen, erwarten uns schon die hämischen Sprüche der Kameraden aus den anderen Booten, die zwar im Gegensatz zu uns in halb vollgelaufenen Booten navigieren, aber immerhin vor uns kapiert haben, dass man um den Orpheus (ob mit „ph“ oder „f“ sei mal dahingestellt) besser einen großen Bogen macht. Im Nachhinein können wir unsere Fahrtroute natürlich damit begründen, dass wir nur die Schiffsschraube des anliegenden Frachters ausführlich studieren wollten…


Nach diesem Schreck haben wir uns eine Pause redlich verdient, und so steuern wir nach rund 17 Kilometern rechtsrheinisch die kleine Bucht der Neckarau an, wo man am seichten Sandstrand anlegen kann (Meldung an den Bootswart: alle Boote wurden liebevoll und von menschlichem Ballast befreit sanft ans Ufer gezogen und haben keine einzige Schramme abbekommen). Das Wasser, durch das wir an Land waten, ist angenehm warm – erst später rätsele ich, ob das wohl etwas mit den vielen vorher gesichteten Zuläufen mit der Kennzeichnung „Wassereinleitung“ an den diversen Industrieanalagen zu tun haben könnte…


An diesem lauschigen Plätzchen also schlagen wir unser Dschungelcamp auf, umringt von bizarr gekrümmten Weiden, freigespülten Wurzelformationen, Schwänen und stillem Wasser – der krasse Gegensatz zum eben passierten Hafengelände. Die Luft ist zwar frisch, die Sonne nach wie vor hinter dichten Wolken, aber immerhin regnet es nicht. Auf Baumstämmen, Lagerfeuer-Steinen oder einfach nur im Sand sitzend wird der mitgebrachte Proviant verzehrt und geteilt, nasses Bootsinventar getrocknet und die bisherigen Erlebnisse diskutiert – insbesondere unsere Schiffsschrauben-Besichtigung und wieder mal die vergessene Rhein-Abdeckung. Dekorativster Gegenstand unseres Camps ist dabei definitiv die rosa Trinkflasche eines unserer Zweimeter-Männer im „Prinzessin-Lillifee“-Design: Ein Sinnbild für Harmonie, Leichtigkeit und Freude, gerade angesichts der eben überstandenen Gefahren.


Frisch gestärkt, mit neuem Mut und trockengelegten Booten machen wir uns auf zur zweiten Etappe – fest entschlossen, keine weitere Gelegenheit zum Schiffe-Versenken-Spiel mehr zu nutzen. Etwa zehn Kilometer lang tut man gut daran, der Ufergestaltung keinen Blick zu gönnen: Industrie, Industrie, Industrie. Wasserentnahme, Wassereinleitung (hoffentlich nur Wasser!?), Verladeterminals, Kräne, BASF, wohin man schaut. Dass dieser Rhein derselbe ist, der bei uns in Ingelheim durchs Grün plätschert, fällt fast schwer zu glauben, und wieder einmal kann man nur dankbar sein, dass unser Ruderrevier an einem so schönen Rheinabschnitt liegt. Immerhin sind die Frachter jetzt weniger geworden und es tauchen keine pseudo-griechischen Namen mehr auf. Stattdessen begegnet uns eine „Gerda“, ein „Max Kern“ und sogar ein Kreuzfahrtschiff mit dem Namen „William Shakespeare“ – da kann man zu Recht auf zivilisiertes Benehmen hoffen. Die weniger zivilisierten Motorboote und Jetskis kriegen wir auch erfolgreich umschifft, so dass wir tatsächlich ohne weitere Fast-Havarie und sogar ohne Wasser in den abdeckungslosen Booten den letzten Streckenabschnitt genießen können: Es wird auch landschaftlich noch einmal richtig schön - statt Beton, Spundwänden und Kränen säumen wieder Pappeln und Weiden das Ufer und der Gott der Ruderer gönnt uns noch einen schönen Abschluss der Fahrt.


In Worms dürfen wir dann alle das Anlegen gegen die Strömung üben sowie das Herausheben der Boote ohne Rolle – zum Glück haben wir genügend kräftige Männer dafür dabei. Wieder heißt es Abriggern: immerhin haben wir dazugelernt und verstauen die Ausleger jetzt so im Hänger, dass wir sie später direkt zumindest den richtigen Booten zuordnen können. Während Frank und Antje zurück nach Speyer fahren, um das Auto von dort zu holen, ist uns anderen nach erfolgreicher Bootsverladung eine kleine Auszeit in einer italienischen Hafengaststätte mit einem sichtlich unmotivierten Kellner vergönnt. Bei Latte Macchiato, Apfelschorle, Bier und „Radlerweizen alkoholfrei ohne Cola“ lassen wir das Erlebte noch einmal Revue passieren, bevor wir schließlich mit der Abrechnung „Jeder einzeln“ dafür sorgen, dass dem Kellner auch ganz bestimmt nicht langweilig wird.


Während sich das Herausbugsieren des Hängers aus dem Bootshausgelände noch einmal als unerwartete Herausforderung erweist und zwei unserer Jungs versuchen, eine geparkte Harley Davidson von der Stelle zu bewegen, ohne dass die Alarmanlage losdudelt, steht ungerührt eine auffällige Bronzeskulptur an der Uferpromenade und schickt sich an, irgendetwas Großes in den Rhein zu schmeißen. „Hagen versenkt den Nibelungenschatz“ steht darunter. Was bin ich froh, dass es nicht die Barbarossa ist, die er versenkt.
Auf der Heimfahrt lockert sich die Bewölkung auf und siehe da: kaum sind wir in Ingelheim, scheint die Sonne wieder! Ein letztes Mal ist angewandte Geometrie für Fortgeschrittene angesagt. Wir stellen unsere Lernfähigkeit unter Beweis und schaffen das Boote-Zusammenpuzzeln jetzt deutlich schneller – was vielleicht auch daran liegt, dass es bereits 18:00 Uhr ist und jeder nach Hause will. So beschließen wir diesen unterhaltsamen und ereignisreichen Tag, sind froh, dass wir nochmal knapp an der Unterwelt vorbeigeschrammt sind, und stellen mit Blick auf unsere Bootshalle, den Rhein und nicht zuletzt den Himmel fest: in Ingelheim ist es doch am schönsten!
Noch einmal herzlichen Dank an Frank für den freundlichen Fahrdienst, und an Antje fürs Übernehmen der zweiten Fuhre! (wir haben einen Latte für dich mitgetrunken). Danke an Andreas Bachmann fürs Organisieren der Fahrt, und natürlich danke an den Vorstand, dass wir die Barbarossa entführen durften (kann man gar nicht oft genug sagen)

Was wir gelernt haben:

  • Wenn ein Boot kieloben liegt, man daneben steht und Richtung Bug schaut, ist Steuerbord auf der linken Seite und die Eins ganz vorne
  • Eine Checkliste für alles, was man auf Ruderwanderfahrten dabei haben sollte, wäre hilfreich (auf der insbesondere das Wort „Abdeckung“ steht)
  • Wanderfahrt mit Fußsteuer macht dem Steuermann keinen Spaß
  • Trau keinem Schiffsführer, der „F“ statt „PH“ schreibt
  • Zehnerschlüssel kann man nie genug haben
  • Prinzessin Lillifee hat auch ihre guten Seiten